Öko- und CO2-Bilanz
Öko- und CO2-Bilanz
Du willst wissen, wie öko und fair das Produkt ist, das du gerade in den Einkaufskorb gelegt hast? Das ist doch ganz einfach: Schnapp dir dein Smartphone, googel den Hersteller und check dessen CSR-Aktivität und seine SCM. Achte vor allem auf das ESG-Rating und ob die Angaben der Europäischen Taxonomie entsprechen. Vielleicht findest du für das Produkte ja sogar eine entsprechende LCA. Noch Fragen?
Unterschiede von Ökobilanz und CO2-Bilanz und was beide nicht aussagen
Mal der Reihe nach: CSR steht für Corporate Social Responsibility, also die gesellschaftliche Verantwortung, die ein Unternehmen übernimmt. Der Begriff stammt aus der Wirtschaftswissenschaft. Er bewertet die Geschäftspraktiken und die Personalpolitik von Firmen sowie deren Umgang mit natürlichen Ressourcen. Im Mittelpunkt stehen dabei die sozialen und ökologischen Gesichtspunkte. Mit der Globalisierung richtete sich das Augenmerk auf die immer längerwerdenden Lieferketten. Hierfür steht der Begriff Supply-Chain-Management (SCM).
Wie die EU die Sache regelt
Seit Beginn der 2000er Jahre bemüht sich die Europäische Union, aus diesen Theorien konkrete Gesetze und Vorschriften für die Wirtschaft zu machen. Das wären die erwähnten ESG-Kriterien – also Environment (Umwelt), Social (Soziales) und Governance (Unternehmensführung). Sie spielen bereits auf dem Finanzmarkt eine Rolle. Investoren, die sich für die Nachhaltigkeit ihrer Aktien interessieren, werfen einen Blick ins ESG-Rating der Firma. Verbindlich geregelt ist das aber nicht.
Darum will die Europäische Union mit ihrer so genannten Taxonomie eigene Maßstäbe festlegen. Eine Taxonomie ist eine vereinheitlichende Rangordnung. In diesem Fall richtet sie sich wenig überraschend an europäische Vorschriften und europäischen Zukunftsprojekten aus. Im EU-Parlament wird derzeit diskutiert, wie die Lieferketten europäischer Unternehmen besser kontrolliert werden können. Dabei geht es um Probleme wie etwa Kinderarbeit und Sklaverei.
Am klarsten ist der Kurs der EU bereits in Sachen Umweltschutz. Mithilfe von Life Cycle Assessments (LCA) ‒ also Lebenszyklusanalysen, auch Ökobilanzen genannt ‒ werden Waren und Dienstleistungen auf ihre Auswirkung auf Klima und Natur bewertet. Und zwar nach europäischer ISO-Norm.
Zahlreiche Institute bieten deutschen Unternehmen mittlerweile das Erstellen von Ökobilanzen als Dienstleistung an. Außerdem gibt es Softwarelösungen. Mit dem Open Source Programm OpenLCA steht ein kostenloses Tool zur Verfügung, dass jede:r nutzen kann. Auch bei der Frage, wie nachhaltig das Produkt in deinem Einkaufskorb ist. An der Universität Pforzheim ist Life Cycle and Sustainability seit 2015 ein Studienfach.
Wir schauen uns die Methoden der Ökobilanz deshalb einmal genauer an. Was leisten sie und was ist problematisch?
Vom CO2-Fußabdruck zur Ökobilanz
2009 bemängelten das Bundesministerium für Umwelt, das Umweltbundesamt und das Öko-Institut: „Die unvollständige und unsystematische Veröffentlichung von CO2-Werten ohne Vergleichsmaßstäbe und ohne Bezug auf andere Umweltaspekte von Lebensmitteln trägt nicht zur Verbraucherorientierung, sondern zur Verwirrung von Verbrauchern bei.“ [1]
Die Kritik galt dem so genannte CO2-Fußabdruck. Mit dem können Privatpersonen vermeintlich ihren persönlichen Beitrag zum Klimawandel messen. Dazu müssen lediglich ein paar Fragen im Internet oder in einer App beantwortet werden. Die Aussagen solcher Messungen sind sehr allgemein und kaum zu überprüfen. Außerdem kommen unterschiedliche Anbieter für den CO2-Fußabdruck bei ähnlichen Fragen zu unterschiedlichen Ergebnissen.
Statt sich auf den CO2-Fußabdruck zu verlassen, hat sich die europäische Politik auf Standards für Ökobilanzen, DIN EN ISO 14044, festgelegt. Der Unterschied zwischen den beiden Bewertungsinstrument ist, dass eine Ökobilanz weit mehr untersucht, als nur den Kohlenstoffausstoß. Alle relevanten Emissionen (zum Beispiel Feinstaub und Chemikalien) in Luft, Boden und Wasser werden gemessen.
Außerdem geht es nicht nur darum, wie eine Ware produziert wird. Sondern auch darum, wie lange sie benutzt und wie sie entsorgt wird. Ebenso berücksichtige eine Ökobilanz alle Auswirkungen der vorangehenden und nachfolgenden Verarbeitungsprozesse. Transportwege werden genau geprüft. Mit so einer Gesamtbetrachtung ist es möglich, die verschiedenen Umweltlasten zu identifizieren.
Die vier Phasen einer Ökobilanz
Eine Lebenszyklusanalyse besteht aus vier Phasen. In der erste Phase wird festgelegt, welcher konkreten Frage die Ökobilanz nachgehen soll. Das allgemeinste Beispiel: Wie nachhaltig ist ein bestimmtes Produkt? In Phase Eins gilt es auch festzulegen, wie gründlich die Analyse hinschaut. Wird etwa die Nachhaltigkeit von Nudeln analysiert, kann eine Unterscheidung von Vollkorn- und Eiernudeln einen großen Unterschied machen.
In der zweiten Phase werden alle Daten in einer Sachbilanz zusammengetragen, die zur Beantwortung der Frage beitragen. Jede Menge Lebenszyklus-Daten werden vom Umweltbundesamt zur freien Verfügung gestellt. In deren „Prozessorientierten Basisdaten für Umweltmanagementsysteme“ (ProBas) finden sich Angaben zu tausenden Rohstoffen. Unter anderem in Bezug auf Schadstoffemissionen, Flächenverbrauch und Bodenversiegelung sowie Wasserbedarf und Gewässereinleitung. Die dort verwendeten Daten sind für das Erstellen von Ökobilanzen verbindlich.
Die so genannte Wirkungsabschätzung findet in der dritten Phase statt. Dabei werden die gesammelten Daten in Hinblick auf die unterschiedlichen Umweltaspekte ausgewertet.
In Phase Vier werden die Ergebnisse dieser Wirkungsabschätzung auf Konsistenz, Vollständigkeit und Genauigkeit geprüft. Zusammenfassend wird ein Bericht mit Schlussfolgerungen und Empfehlungen geschrieben. Die Auswertung ist dabei zwangsläufig von den Vorstellungen und Ideen der Fragesteller:innen beeinflusst. Solche Auswertungen geben damit eher Meinungen wieder, als wissenschaftlich fundierte Feststellungen. Und damit beginnen dann auch die Probleme.
Subjektive Bilanzen
Antwort gibt so eine Auswertung immer nur auf die Frage, die konkret gestellt wurde. Es macht aber einen Unterschied, ob eine Ökobilanz zum Beispiel die Nachhaltigkeit von Eiernudeln im Vergleich mit Vollkornnudeln oder mit Reis untersucht. Im ersten Fall ist die eifreie Variante klar im Vorteil. Reis hingegen gilt als problematisch bei Klimagasen und Bodenbelastung. Die Eiernudeln würden daher wohl im Durchschnitt besser wegkommen. Aber auch nur im Durchschnitt! Reis ist eine Kulturpflanze wie andere auch. Ob sie sich für die Umwelt schädlich auswirkt, hängt vor allem von der Art ihres Anbaus und von den Transportwegen ab. Wenn Ökobilanzen Aussagen treffen, die sich auf Produkte beziehen, die von vielen Firmen angeboten werden, kann genau das zum Problem werden. Denn so eine Durchschnittsbilanz trifft nicht auf die einzelnen Hersteller zu. Ein Vergleich zum Verständnis: Die durchschnittliche Körpergröße von Menschen beträgt 1,65 Meter. Aber die Wenigsten sind exakt 1,65 Meter groß, sondern meist größer oder kleiner. Ähnlich sieht es bei der durchschnittlichen Nachhaltigkeit von vergleichbaren Produkten aus.
Doch auch was sich die EU unter einer gelungenen Ökobilanz vorstellt, entspricht nicht unbedingt dem, wovon Umweltschützer:innen ausgehen. Aktuelles Beispiel: Im vergangenen Jahr wurde Atomkraft und die Verstromung von Erdgas in die Europäische Taxonomie als Übergangstechnologien aufgenommen. Deshalb gelten Investments in entsprechende Anlagen nach den erwähnten ESG-Kriterien als besonders nachhaltig. Entsprechend gut fallen die europäisch genormten Ökobilanzen für Kernkraft und Gas aus.
Eine Folge dieser Neubewertung ist, dass nun auch Betreiber von Müllverbrennungsanlagen fordern, entsprechend eingestuft zu werden. Zum Glück ohne bisherigen Erfolg. Die kuriose Auffassung, dass Müllverbrennung geradezu ein Segen für die Umwelt ist, teilt die Politik aber durchaus. So ist auf der Homepage des Umweltbundesamtes zu lesen: „Die Abfallwirtschaft hat sich zu einem Klimaschützer gewandelt.“ [2]
Das Argument lautet in etwa: Müllverbrennung dient der Erzeugung von Strom und Wärme. Dabei wird weniger CO2 freigesetzt als beim Verfeuern von Kohle. Die Differenz fließt als Gutschrift in die Ökobilanzen von Plastikverpackungen ein. Die Müllverbrennung trägt in dieser Lesart zum Einhalten der Klimaziele bei.
Darum schneiden zum Beispiel Einweg-Plastikverpackungen, die einen Großteil bei der Müllverbrennung ausmachen, in Ökobilanzen regelmäßig gut ab. Darin findet sich fast nie ein Wort zu Themen wie illegalen Mülldeponien, Plastikstrudeln in den Weltmeeren oder Gesundheitsgefahren durch Weichmacher in den Kunststoffen.
Fazit
Die derzeitigen Ökobilanzen geben Auskunft darüber, inwieweit ein Produkt beziehungsweise eine Dienstleistung den ökologischen Zielen der Europäischen Union entspricht. Nicht mehr und nicht weniger. Doch die Umweltpolitik der EU reicht nicht aus. Sie darf nicht der Maßstab für uns Umweltbewegte sein. Uns scheinen diese Ziele eine Art Mittelweg zwischen Schutz der Umwelt und Interessen einzelner Unternehmen zu sein. Damit dürfen wir uns nicht zufriedengeben! Dazu gehört auch, die Ökobilanzen in Frage zu stellen, die sich an dieser Politik orientieren. Wir müssen besonders darauf achten, wie die Frage gestellt ist, was miteinander verglichen wird und was unerwähnt beziehungsweise unbeachtet bleibt.
[Quellen]
[1] Memorandum Product Carbon Footprint (PCF), Öko-Institut e.V., 2009
[2] Klimaverträgliche Abfallwirtschaft, Bundesumweltministerium, 2021